Feribot

„Zu mir ist gekommen eine Kuzine,
schön wie Gold ist sie gewesen, die Grine,
die Bäckchen wie rote Pomeranzen,
Füßchen, die wiegen sich zum Tanzen,
Augen wie himmelblauer Frühling
(…)
Nicht gegangen ist sie, nur gesprungen,
nicht geredet hat sie, nur gesungen,
lebendig und fröhlich ihre Miene,
ja so ist sie gewesen, meine Kuzine…“

so beginnt ein Klezmer-Lied (in meiner höchst unvollkommenen Übersetzung aus dem Jiddischen), von dem es viele verschiedene Versionen gibt (drei hab ich auf die Schnelle im Internet gefunden). Und „Di Grine Kuzine“ ist eine diesem Lied durchaus nicht unähnliche Blaskapelle aus Berlin, die seit 1993 existiert. Ihre Musik nennen sie „Balkan Klezmer Brass“ – oder, mit den Worten von Aaron Howard „Feribot, rau und unbändig, ist keine traditionelle Musik. Es gleicht eher einer sehr hippen Dorfmusik, die von Postmodernisten aus der Stadt gespielt wird.“ Die Kuzinen sind zu fünft: Alexandra Dimitroff (Akkordeon, Gesang), Juri Schrot (Klarinette, Sopransaxofon), Karel Komnatoff (Trompete, Gesang), Mr. Steve R. Lukanky (Tuba) und Snorre Schwarz (Schlagzeug, Gesang) und sie spielen fast alles: Klezmer, „Zigeunermusik“, serbische und bulgarische Dorftänze, klassische westeuropäische Komponisten der Romantik (Gustav Mahler), Latino-Rhythmen und bisweilen sogar so etwas ähnliches wie Reggae.

Die Platte ist eine Zufallsbekanntschaft (es fühlte sich keine andere bei uns im Freien Radio für sie zuständig – im Plattenladen findet ihr sie hoffentlich im Regal „Pørlen der Wørldmusik“), die mein Herz und viel Sendezeit sozusagen im Sturm erobert hat. Die Stimmung kann ich am ehesten mit „ausgelassene Verzweiflung“ beschreiben, starke Medizin also gegen Liebeskummer ebenso wie gegen politische Demoralisierung.

Und so ist es wohl auch gemeint: „All Ihr Neugierigen, Ausgelassenen, Verliebten, Verzweifelten! Hier ist ein Schiff, auf dem Platz für Euch alle ist. Kommt an Bord, ob zu Fuß oder schwimmend, woher Ihr auch seid. Das FERIBOT durchkreuzt die Gegend, die man das wilde Herz Europas nennt! Die Karten schweigen sich über diese Gegend aus, aber Karten waren ja schon immer nur etwas für Angsthasen. Das FERIBOT ist ohne Angst. Es ist ohne Alter, es staunt, es liebt und es leidet.
Die Welt ist kleiner als wir dachten – Willkommen an Bord!“

Da staune ich auch, denn seither war ich der festen Überzeugung, diese Gegend sei gänzlich kontinental und kein bisschen „meerisch“ – wie kann da ein Fährboot kreuzen? So kann eine sich täuschen in der musikalischen Geographie – und auch der „Rough Guide Weltmusik“ (2000 im Metzler-Verlag erschienen), ansonsten ein informativer Reiseführer, hilft in dem Fall nicht weiter.

Wenn Musik in der gleichen Weise agitiert, argumentiert, belehrt wie eine Zeitung, eine Rede, ein Buch… – ist sie in der Regel schlecht. Musik „bedeutet“ auf eine andere Art etwas, als Wörter es können. Feribot ist im besten Sinne kosmopolitisch (wenn es möglich ist, dieses antisemitische Schimpfwort positiv zu wenden im Sinne einer internationalistischen Befreiungstradition). Keineswegs beliebig ist das musikalische Statement der Postmodernisten aus Berlin und dem wilden Herzen Europas gegen jegliche „das-Boot-ist-voll“-Ideologie.

Welche Ohren hat, zu hören, die höre – und tanze!

Di Grine Kuzine: Feribot, T3 Records [www.kuzine.de]